Wochenende. Sozioszenoferix und Kunstsinnaina sitzen gemeinsam am Frühstückstisch. Während sie vegane Frühstücksbrötchen mit Gemüseaufstrich mampfen und fair gehandelten Kaffee schlürfen, dessen Bohnen Sozioszenoferix in einem angesagten Kaffeeladen im Rahmen eines Röstworkshops persönlich geröstet hat ...
Kunstsinnaina:
Gehen wir heute in die Berlinische Galerie?
Sozioszenoferix:
(abwesend)
Was gibt es denn?
Kunstsinnaina:
Eduardo Paolozzi ... »LOTS OF PICTURES − LOTS OF FUN«. Solltest du dir nicht entgehen lassen. Der Titel hält, was er verspricht. Ich war ja schon bei der Eröffnung, will mir die Ausstellung aber unbedingt noch mal anschauen. Sie läuft allerdings nicht mehr lange, nur noch bis zum ... bis zum ... Moment!
Steht auf und schlurft ins Nebenzimmer, um schließlich triumphierend mit der Einladungskarte in der Hand zurückzukommen.
Kunstsinnaina:
... bis zum 28. Mai ...
Sie setzt sich wieder an den Frühstückstisch.
Sozioszenoferix:
Zeig mal ...
Nimmt Kunstsinnaina die Einladungskarte aus der Hand.
Kunstsinnaina:
(alarmiert)
Pass auf mit deinen schmierigen Bärlauchpestofingern …
Sozioszenoferix:
(liest theatralisch übertreibend)
»Eduardo Paolozzi« ... Italiener, oder?
Kunstsinnaina:
Jein. Sohn von Italienern, die nach Schottland ausgewandert sind ...
Sozioszenoferix:
Ach ja, ich erinnere mich. Habe erst vor kurzem einen Artikel über ihn gelesen. Darin ging es um ein Wandgemälde, das er Ende der 70er Jahre an eine Häuserwand in der Kurfürstenstraße gepinselt hat. Ein riesiges Schwarz-Weiß-Gemälde, das aus Maschinenteilen besteht. Das Werk war lange von der Berliner Volksbank verdeckt. Typisch Berliner Baupolitik. Erst Kunst am Bau genehmigen, dann zubauen lassen. Naja. Nu haben sie den Kasten abgerissen. Im März, soweit ich weiß. Und: Das Werk ist wieder aufgetaucht.
Kunstsinnaina:
Echt? Hab ich gar nicht mitgekriegt! Müssen wir unbedingt mal vorbeigehen, bevor sie wieder ein neues Gebäude hochziehen ... Mit dem 148er kommen wir da doch ganz gut hin, oder? Das Gemälde wird übrigens auch in der Ausstellung in der Berlinischen Galerie gezeigt ... In einer Miniaturausgabe.
Sozioszenoferix:
Da die Fassade mit dem Original gut und gerne 1000 Quadratmeter misst, könnten sie es in der Berlinischen Galerie wohl kaum in Originalgröße abbilden ...
Kunstsinnaina setzt ihre »Was bist du nur für ein Klugscheißer-Miene« auf und beißt herzhaft in ihr Brötchen.
Kunstinnaina:
(kauend)
In Originalgröße wohl kaum. Aber weißt du überhaupt, was die Berlinische in der Jakobstraße raumtechnisch für tolle Möglichkeiten hat? (verschluckt sich an einem Krümel und hustet).
Pardon. Zum Beispiel einen gigantisch hohen Ausstellungsraum. Schenkst du mir bitte Kaffee nach? Danke. (trinkt)
Als ich bei der Paolozzi-Eröffnung war, hab ich mir dort eine Rauminstallation von Monica Bonvicini angeguckt. 3000 und irgendwas m³ − so genau weiß ich die Zahl nicht mehr − versus 0,05 m³ oder so ähnlich lautete der Titel. Eine Art Riesen-Pinsel-Pendel. Sehr eindrucksvoll.
Sozioszenoferix:
Klingt spannend.
Kunstsinnanina:
Ist spannend. Beziehungsweise: War. Haben sie zwischenzeitlich wieder abgebaut. Hast du was verpasst. Tja, wärst du zur Paolozzi-Eröffnung mitgekommen ...
Sozioszenoferix:
(während er in seiner Zeitung blättert)
Konnte leider nicht.
Kunstsinnaina:
Ts! Du wolltest nicht, weil du unbedingt das neue Stück von Katharina Schlender zu Ende lesen wolltest. Sag mal, wann warst du eigentlich überhaupt das letzte Mal in der Berlinischen Galerie ... Als sie ihren Standort noch in der Budapester Straße hatte? Kennst du überhaupt ihre aktuelle Sammlungspräsentation?
Sozioszenoferix:
Hm.
Kunstsinnaina:
Die zeigen zum Beispiel Werke von Hannah Höch! Eine meiner Lieblingskünstlerinnen … Bei jeder Ausstellungseröffnung statte ich ihren Bildern einen kurzen Besuch ab, wenn ich mit der neuen Sonderausstellung durch bin. ( betont beiläufig)
Ach. Da fällt mir ein. Hab ich dir schon von dem Typen erzählt, mit dem ich bei der Paolozzi-Eröffnung ins Gespräch gekommen bin? Bei Paolozzis Hundeskulptur? Über Kunst und Kitsch ...
Sozioszenoferix blickt von seiner Zeitung auf und wirft Kunstsinnaina einen misstrauischen Blick zu.
Sozioszenoferix:
War das der Kerl, mit dem du anschließend bei der Eröffnungsfete getanzt und gesoffen hast? (frotzelnd)
Pogo getanzt und Paolozzi-Craft-Beer gesoffen, wenn ich mich richtig an deine Erzählungen erinnere! (hämisch)
Am nächsten Tag hattest du dann einen doppelten Kater. Muskeln und Kopf!
Die schwarze Katze, die bisher auf einem Stuhl zusammengerollt zu schlafen schien, hebt kurz den Kopf und blickt Kunstsinnaina mit ihren unergründlichen Katzenaugen lange an.
Sozioszenoferix: (lauernd) Ist dein Pogotänzer eigentlich der Typ, mit dem du neuerdings dauernd Nachrichten austauscht?
Kunstsinnaina:
Was heißt hier dauernd.
Sozioszenoferix:
Vorhin zum Beispiel, als ich den Kaffee gekocht habe? Da hast du doch schon wieder an deinem Gerät rumgefingert.
Kunstsinnaina:
Schmeckt übrigens gut, dein Kaffee.
Sozioszenoferix:
Danke. Extra säurearm, mit nussiger Note.
Die Katze maunzt.
Kunstsinnaina:
(zur Katze)
Du kriegst keinen Kaffee.
Sozioszenoferix: (zu Kunstsinnaina) Erst wolltest du dir kein Smartphone anschaffen, und jetzt hängst du dauernd dran.
Kunstsinnaina:
(schnippisch)
Um von unterwegs online Karten für das Theatertreffen zu kaufen, war es doch ganz praktisch, oder? (bedauernd)
Schade, dass es nicht für alle Vorstellungen geklappt hat, weil der Server überlastet war ...
Sozioszenoferix:
(seufzend)
Manchmal trauere ich den Zeiten hinterher, als ich mich noch in Listen eintragen und frühmorgens am Vorverkaufstag in der Schlange stehen musste ...
Kunstsinnaina:
(trocken)
Damals hast du dich allerdings dauernd über diese »Mafiamethoden« beschwert. Und bis du an der Reihe warst, waren die meisten Vorstellungen trotzdem schon ausverkauft. Kommst du jetzt mit in die Berlinische Galerie oder nicht?
Sozioszenoferix:
Bevor du dich dort mit deinem »Ausstellungseröffnungsschatten« verabredest ...
Kunstsinnaina:
(perplex)
»Ausstellungseröffnungsschatten«?
Sozioszenoferix: (herausplatzend) Ist der Typ eigentlich jünger als ich?