Während Kunstsinnaina und Sozioszenoferix an einem sommerlichen Maitag durch den von Sonnenanbeter*innen, Läufer*innen, Säufer*innen, Spaziergänger*innen, Hunden und Kaninchen überfluteten Wilmersdorfer Volkspark samt angrenzendem Schöneberger Rudolph-Wilde-Park flanieren und dabei geschickt den Picknickabfällen ausweichen ...
Kunstsinnaina: Mal ganz abgesehen von der Kartenfrage … Warum wolltest du dir eigentlich den Castorf-Faust nicht anschauen?
Sozioszenoferix zieht eine Flappe und schweigt.
Kunstsinnaina:
(zeigt auf den Brunnen »Goldener Hirsch«)
Ah, wie schön, hat wieder Wasser … Ich liebe diese Fontäne. Versetzt mich in Sommerstimmung.
Sozioszenoferix: (übellaunig) Lass uns über den Rasen laufen. Bestimmt spielen sie vor dem Brunnen wieder Boule, und ich habe keine Lust, von einem Ball getroffen zu werden ...
Kunstsinnainia:
(gleichmütig)
Von mir aus ... Heißt übrigens »Kugel«, nicht Ball ... Boule-Kugel. (süffisant)
Schlecht gelaunt?
Sie laufen schweigend nebeneinander her.
Kunstsinnainia:
Noch mal zurück zum Faust ... Du hast doch sicher die euphorische Kritik in der Süddeutschen Zeitung gelesen, oder? Also ich muss sagen: Dass du dir diese Inszenierung entgehen hast lassen, wundert mich wirklich. Du warst doch früher mal ein glühender Castorf-Verehrer.
Sozioszenoferix:
Glühend? Naja. Leidernschaft ist nicht meine Sache. Aber stimmt. Hat mich beeindruckt, der Typ. Früher. Seine Emilia Galotti ... Quatsch, ich meine natürlich seine Miss Sara Sampson-Inszenierung beim Theatertreffen ... 1989? Oder doch erst nach dem Mauerfall? Ts ... Mein Gedächtnis ... Egal. Jedenfalls mit der Rieger … Die gesamte bürgerliche Schauspieltradition dadaistisch zertrümmert. Ich war fasziniert damals! Vorsicht, pass auf, ein Hundehaufen. Aber dann. Castorf wurde berühmt, Intendant der Volksbühne, und die Castorfglorifizierungsbewegung begann. Das Zertrümmern wurde Routine. Ich habe übrigens noch Originalstreichholzschachteln mit dem Rad der Volksbühne. Ein Volksbühnen-Give-away … Ha! Klassische Vermarktungspraktiken selbst an diesem ach so kapitalismuskritischen Ort. Irgendwann haben mich seine Inszenierungen nicht mehr berührt, auch wenn die Schauspieler ...
Kunstsinnaina:
…
und Schauspielerinnen …
Sozioszenoferix: … und Schauspielerinnen sich die Seele aus dem Leib gespielt haben. Schau mal, auf der Bank dort sind noch zwei Plätze frei!
Sie laufen zielstrebig zur Bank, kommen einem anderen Paar, das ebenfalls auf die Bank zusteuerte, gerade noch zuvor und setzen sich.
Sozioszenoferix:
Uff. Diese Hitze!
Ein Dogge-Schäferhund-Boxer-Mischling springt auf Sozioszenoferix zu und beschnuppert ihn neugierig.
Sozioszenoferix:
(genervt)
Nein, ich will nicht spielen, du Hund!
Der Hund rennt weg.
Sozioszenoferix: Igitt, ich glaube, der hat meinen Fuß vollgesabbert. Hast du ein Taschentuch?
Kunstsinnaina wühlt in ihrem Rucksack nach einem Taschentuch und gibt es ihm.
Sozioszenoferix:
(während er den Hunde-Sabber abputzt)
Dieser Castorf-Kult nach der Nominierung von diesem Dercon … der hat mir dann den Rest gegeben.
Kunstsinnaina: (während sie interessiert einem reich tätowierten jungen Mann hinterherblickt, der an ihrer Bank vorbeigelaufen ist) Hat aber doch nix mit Castorfs Inszenierungen zu tun.
Sozioszenoferix:
Stimmt. Trotzdem. Die kleinkarierte Art, wie sie diesen Typen fertig gemacht haben – die fand ich echt zum Kotzen! Und dass sie die Inszenierung beim Theatertreffen noch nicht mal in der Volksbühne gezeigt haben, nur weil es Castorfs Volksbühnen-Abschiedsproduktion war und er das nicht wollte – kindisch finde ich das!
Kunstinnaina: Aber ein wenig wurmt es dich jetzt doch, dass du die Inszenierung nicht gesehen hast, oder?
Sozioszenoferix brummt etwas Unverständliches in sich hinein.