August 2018, Berlin im Hitzekoma. Bella Harmonia lässt beim frühmorgendlichen Hausputz ihren letzten Staatsoper-Besuch vor der Sommerpause Revue passieren …
Bella Harmonia:
(während sie lustlos und im Zeitlupentempo den Staubsauger aus der Abstellkammer holt und in ihr Arbeitszimmer schleppt)
Komm schon, Bella, »think positive«, lass dich nicht runter ziehen von ein wenig Putzen, was sein muss, muss sein. Noch sind es ja nur 28 Grad in der Wohnung, die große Hitze kommt erst noch … Denk an deinen letzten Opernabend vor der Sommerpause, während du feudelst … Beziehungsweise saugst … Und danach … – kotz! – wischst! (trällert nachäffend)
»Meister Proper putzt so sauber dass man sich drin spiegeln kann …« … »Der General, der General, der General ….« (stellt den Staubsauger kurz ab)
Typisch. Noch immer schinden sich überwiegend die Frauen mit der Putzarbeit ab. Aber in der Werbung werden seit Jahrzehnten Typen zu Putzhelden stilisiert … Was soll`s … Reg dich ab. Alles Peanuts angesichts von Trump, AFD und allseits heraufbeschworener Demokratiedämmerung … Vom Klimawandel gar nicht zu reden … (schleppt den Staubsauger weiter)
Denk an was Schönes, Bella ... »Oper« ist dein Stichwort, Bella, dein letzter Staatsopern-Besuch vor der Sommerpause … Mist. Wie war noch mal der Titel? (setzt den Staubsauger ab, denkt kurz nach)
»Ti vedo, ti sento, mi perdo … Dich sehen, dich spüren, mich verlieren ... In attesa di Stradella – Warten auf Stradella«. (schleppt den Staubsauger weiter)
Dieser Stradella … War seinerzeit ein berühmter Komponist … Und sein abenteuerliches Leben hat eine ganze Reihe von Künstlern inspiriert, ihn selbst zum Gegenstand ihrer Werke zu machen. Auch Salvatore Sciarrino. Schöne Story: Ein Ensemble probt in der Barockzeit ein neues Stück von Stradella und wartet auf die Ankunft des Komponisten … Tja, Bella. Das wird dir nicht passieren, dass jemand eine Oper über dein Leben schreibt. Höchstes vielleicht: »Bellas und ihr Staubsauger« (mittlerweile im Arbeitszimmer angelangt, schließt sie den Staubsauger an die Steckdose an)
Vielleicht sollte ich mir einen Putzroboter anschaffen. (will den Staubsauger anwerfen, hält dann aber inne)
Mein Ding ist die Musik von Sciarrino ja nicht, geht mir nicht ans Herz … Aber: Complimenti, Herr Flimm. Tolle Inszenierung … So viele Details … Schade, dass ich mich nur noch an wenige erinnern kann. (setzt sich auf ihren Schreibtischstuhl, in der Hoffnung, damit ihre Erinnerung zu beflügeln)
Die Bühne auf der Bühne, die Proben für das neue Stück von Stradella, die spiellustigen Sänger*innen, die Ballettmädchen und -jungs … Das Sterntaler-Mädchen … (schließt die Augen und öffnet sie nach einer Weile wieder)
Mist. Kein Verlass auf meine grauen Zellen. Unbefriedigend, meine Erinnerungsbilder. Unscharf, aufgelöst, verschmiert, fragmentiert. Tja. Fotos im Programmheft würden jetzt weiterhelfen … Aber ich musste es ja in der U-Bahn liegen lassen … Und die Inszenierung noch mal anschaun geht nicht, ist schon abgespielt … Blöd. Ob ich auf der Homepage der Staatsoper wenigstens noch ein paar Inszenierungs-Fotos finde? Könnte mir bei dieser Gelegenheit im Webshop gleich noch ein paar Tickets für die nächste Saison besorgen. Ist doch eh viel zu heiß zum Putzen … (schleppt den Staubsauger in die Kammer zurück, setzt sich an ihren Schreibtisch und wirft ihren Computer an)